Tagungsbericht 52. Konferenz der International Association of Labour History Institutions

Tagungsbericht 52. Konferenz der International Association of Labour History Institutions

Organisatoren
International Association of Labour History Institutions (IALHI); Schweizerisches Sozialarchiv
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Fand statt
Hybrid
Vom - Bis
14.09.2022 - 17.09.2022
Von
Andreas Marquet, Archiv der sozialen Demokratie, Friedrich-Ebert-Stiftung

Nachdem in den vergangenen zwei Jahren virtuelle Konferenzen durchgeführt wurden, fand vom 14. bis zum 17. September 2022 die jährliche Konferenz der International Association of Labour History Institutions (IALHI) im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich als Hybridveranstaltung statt. Das Rahmenthema „The struggle against right-wing populist/radical and extreme right-wing movement” wurde um Projektberichte von Mitgliedsinstitution

In seinem Eröffnungsvortrag gab CHRISTIAN KOLLER (Zürich) einen breiten Überblick über Unterlagen rechtsradikaler Aktivist:innen und Organisationen in den Beständen des Schweizerischen Sozialarchivs. Dabei arbeitete er ein Muster heraus, das sich noch in weiteren Vorträgen wiederfinden sollte: Linke politische Bewegungen haben Gegnerbeobachtung betrieben und Dokumentationen über deren Ziele, Praktiken und Akteur:innen angelegt. Bemerkenswertes Beispiels Kollers ist der Bestand der Sozialdemokratischen Partei, wo dieses Vorgehen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts institutionalisierte Praxis war. In besonderem Maße wurde dies auch von JEFF HOWARTH (London) anhand des gewerkschaftlichen Labour Research Department (LRD) herausgearbeitet, das jedoch noch einen Schritt weiterging und in eigenen Publikationen die Methoden britischer faschistischer und rechter Organisationen dekonstruierte.

Die Abgabe des Depositums des rechten Populisten James Schwarzenbach, der ausdrücklich das Schweizerische Sozialarchiv mit seinem Sammlungsprofil linker Organisationen als Aufbewahrungsstätte vorsah, macht auf ein weiteres, wiederkehrendes und nicht immer offen formuliertes Motiv aufmerksam: Der intendierte Brückenschlag Rechter in das Lager der Arbeiterbewegung, der sich hier exemplarisch auf der Ebene der Überlieferungsbildung spiegelt. Hiermit verbundene Fragen thematisierte ebenfalls FRANCK VEYRON (Paris), der gemäß Sammlungsauftrag auch um die Unterlagen dezidiert rechter Bewegungen bemüht ist. Die Kontaktpflege zu Rechten sowie die z.T. in deren Unterlagen enthaltenen Inhalte werfen ethische, mitunter auch rechtliche Fragen auf. Erschwernisse in der Überlieferungsbildung können schließlich zu einer Aufteilung von Beständen führen, wie dies bei dem Krankenpfleger, Historiker und Journalisten Claude Cantini der Fall ist. Wie FRÉDÉRIC DESHUSSES (Genf) zeigte, ist der im Archives Contestataires verwahrte Bestand frei zugänglich und beinhaltet zahlreiche Unterlagen aus Cantinis Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus. Ein umfangreicher Bestand Cantinis wird jedoch zudem im Archiv des Kantons Waadt vorgehalten, was aus Nutzungsperspektive zu einem organisatorischen Mehraufwand führt. Dabei gilt grundsätzlich, dass die Benutzung von Archivgut aufgrund privatrechtlicher Verträge an die Genehmigung der Hinterleger:innen gebunden sein kann. Am Beispiel eines ehemaligen Rechtsradikalen, der als Aussteiger noch heute Bedrohungen ausgesetzt ist, verdeutlichte MARIEN VAN DER HEIJDEN (Amsterdam) praktische Schwierigkeiten bei der Zugänglichmachung des Bestandes, die an eine Genehmigungserteilung geknüpft ist. Dass schließlich diese Fragen eine Überlieferung voraussetzen, machte GEOFF BROWN (Manchester) deutlich: Bei einem Brandanschlag auf das Büro der Anti-Nazi-League verbrannten zahlreiche Dokumente, die Sicherung der verbliebenen Unterlagen für die spätere historiographische Befassung war nicht mitgedacht.

Die in den Vorträgen abgedeckte geographische Breite offenbarte transnationale Kooperationen und Netzwerke auf Seiten der Rechten wie der Linken. So ließen sich deutliche Bezüge zwischen der Bildsprache der britischen Anti-Nazi League (BROWN) und der deutschen Kampagne „Mach meinen Kumpel nicht an“, die KIM KNOTT und ANJA KRUKE (Bonn) in ihrem Beitrag thematisierten, herstellen. Eine ursprünglich von der Werbeagentur Goal für die Schweizerische Volkspartei entwickelte xenophobe Kampagne, in deren Mittelpunkt gezeichnete Schafe stehen, wurde, wie CHRISTIAN KOLLER zeigen konnte, in mehreren europäischen Staaten mit nur geringfügiger Veränderung übernommen. Transnationale Verflechtungen machte auch JSEPER JORGENSEN (Kopenhagen) deutlich, der über die Formierung neuer linker und rechter Gruppierungen in den 1960er und 70er Jahren in Dänemark und deren internationale Verbindungen berichtete. So publizierte die Documentation Group DDV/Demos 1978 ein Buch über die Zusammenarbeit rechter Personen und Organisationen mit dem US-amerikanischen Geheimdienst CIA. Das ethische Dilemma solcher z.T. illegal zusammengetragenen Informationen im Falle eines Missbrauchs durch Dritte adressiert einen weiteren Komplex im Umgang mit derartigen Sammlungen.

Ausgehend von den ideologischen Wurzeln rechtsgerichtet katholischer, ultra-rechter nationalistischer und liberal-konservativer Kreise in Argentinien im 20. Jahrhundert arbeitete MERCEDES LÓPEZ CANTERA (Buenos Aires) Bezüge zu linksgerichteten Bewegungen heraus. Die Zusammenarbeit rechtsgerichteter Organisationen mit staatlichen Sicherheitsdiensten als Forschungsgegenstand bildete eine Parallele zu Jorgensen, wenngleich die Quellenlage äußerst heterogen ist. López Cantera verdeutlichte dies in einer differenzierten Darstellung der Quellenlage verschiedener privater und staatlicher Unterlagen und Veröffentlichungen der jeweiligen weltanschaulichen Bestandsbildner:innen. An das Verhältnis von Faschismus einerseits und antidemokratischen reaktionär-konservativen Kreisen andererseits knüpfte CHRSTIAN VASILE (Bukarest) mit dem biographischen Zugang zu Mihai Ralea an. Ralea hatte sich in den 1920er Jahren der nationalistischen Bauernpartei zugewandt und publizistisch Stellung gegen den Faschismus bezogen, später an der Unterdrückung des Parlaments durch König Karl II. vor dem Hintergrund der Bedrohung durch die faschistische Eiserne Garde mitgewirkt. Raleas folgender wechselhafter Weg in den verschiedenen politischen Regimen verdeutlichtet auch mit Blick auf die Überlieferungsbildung die Problematik einer zusammenhängenden Quellenlage. In ihren stärker gegenwartsbezogenen Überlegungen leuchtete ARUSHI SINGH (Delhi) das Verhältnis neuer rechter Bewegungen, deren Entstehen sie mit dem Sechstagekrieg 1967 datiert, zu Likud und insbesondere zu Benjamin Netanjahu aus. Aufgrund der zeitlichen Aktualität greift SINGH hierbei stark auf bereits publizierte Unterlagen zurück und wertet insbesondere Presseerzeugnisse aus. Der Beitrag von SINGH verweist damit auch auf die Notwendigkeit einer zeitnahen Sicherung vielgestaltiger Publikationen und Medien, insbesondere sozialer Medien.

In einem Round Table aus Anlass des 2023 anstehenden 50. Geburtstags der European Trade Union Confederation (ETUC) eröffnete SIGFRIDO RAMÍREZ PÉREZ (Frankfurt am Main) Perspektiven zu gewerkschaftlicher Erinnerungsarbeit anhand geplanter Aktivitäten rund um das ETUC-Jubiläum. ERIC DE RUIJTER (Amsterdam) und GEERT VAN GOETHEM (Gent) wiesen auf Herausforderungen bei der Überlieferungsbildung hin, die zunächst bei den betroffenen Akteur:innen ein entsprechendes Bewusstsein voraussetzten. Eine Verbindung zu erinnerungspolitischen Diskursen und hieraus erweiterten Perspektiven stellte ANJA KRUKE (Bonn) her, die auf jüngst vorgelegte Ergebnisse der Initiative „Erinnerungskulturen der sozialen Demokratie“ verwies.

In einer weiteren Sektion präsentierten Mitgliedsorganisationen der IALHI Erkenntnisse aus aktuellen Projekten. Digitalisierung entweder als Prozess der Konversion analogen Materials wie auch Ansätze rund um genuin digitale Objekte kennzeichneten diese Kurzpräsentationen. So zeigte sich an den Beispielen von ALFREDO MIGNINI (Genf) und JEFF HOWARTH (London), dass die Bereitstellung geeigneter Findmittel nach wie vor nicht abgeschlossen ist. Zugleich stehen aufgrund normierter Erschließung und standardisierter Formate zusätzliche Angebote zur Verfügung, wie KIM ROBENSYN (Gent) anhand eines zusätzlichen, kartenbasierten Zugangs zu digitalisierten und erschlossenen Architekturplänen verdeutlichte. Von einer Initiative zur Sicherung ephemerer digitaler Unterlagen von sozialen und ökologischen Bewegungen in Italien berichtete VITTORE ARMANNI (Mailand), die sich angesichts der heterogenen Situation auf landesweit agierende Gruppierungen beschränkt – und damit bereits auf Desiderate auf regionaler oder lokaler Ebene verweist. RENÉ PIGIER (Paris) und ANDREAS MARQUET (Bonn) griffen genuine Aspekte der sogenannten digitalen Langzeitarchivierung auf, die Prozesse der Übernahme von Dateiablagen sowie dem Zugang zu archivierten Webseiten betrafen.

Konferenzübersicht

Keynote Lecture

Christian Koller (Zürich): Far-right Movements and the Struggle against them: Material in the Swiss Social Archives

Round Table about the 50th Anniversary of the European Trade Union Confederation mit Beiträgen von Sigfrido Ramírez Pérez (Frankfurt am Main), Eric de Ruijter (Amsterdam), Geert van Goethem (Gent), Anja Kruke (Bonn)

Workshops

Stefan Fuhlroth (Zürich), Alexander Boix (Bonn), Maarten Savels (Gent): Quality Control in Digital Archiving: Use Cases on Practices and Tools

Lucas Poy (Amsterdam): Labour History Institutions and Social Media: Sharing Best Practices and Insights

IALHI-Mitgliederpräsentationen

Alfredo Mignini (Genf): Les archives Eric Decarro

Jeff Howarth (London): Presentation on the TUC Library’s new Digital Card Catalogue

Kim Robensyn (Gent): Digitization and valorization of architectural plans and blueprints in cultural heritage collections: Challenges and best practices

René Pigier (Paris) : Digital archies at La contemporaine

Andreas Marquet (Bonn): A new approach to analyze archives websites at the AdsD

Vittore Armanni (Mailand) : Current archives of social movements: How can we prevent their loss and avoid next-generation scholars to be sourceless

The struggle against right-wing populist/radical and extreme right-wing movement

Jeff Howarth (London): Labour Research Department and the struggle against right-wing populist/radical and extreme right-wing movements

Mercedes López Cantera (Bueons Aires): Studying right-wing movements in Argentina: An overview of topics, perspectives, and sources

Franck Veyron (Paris): Dealing with far-right publications and archives at La contemporaine

Marien van der Jeijden (Amsterdam): Far-right archives at the IISG

Frédéric Deshusses (Genf): The archives of Claude Cantini, a self-taught, anti-fascist historian

Kim Knott (Bonn), Angela Kruke (Bonn): Responses of social democracy and trade unions to the challenge of right-wing extremism in Germany since the 1950s

Jesper Jørgensen (Kopenhagen): “Activist documentation”: New Left against New Right in Denmark in the 1960-70s

Geoff Brown (Manchester): A history “from below” of the Anti-Nazi League 1977-1981

Christian Vasile (Bukarest): Mihai Ralea and his fight against the pro-Nazi right-wing dictatorship in Romania, 1940-1944

Arushi Singh (Delhi), Right-wing populism in Israel: Likud and the repercussions of political hegemony